Kopfschmerztag 2025: Moderne Migränetherapien zu wenig genutzt

Zum Kopfschmerztag am 5.9. weist die Dt. Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft darauf hin, dass moderne Migränetherapien zu wenig genutzt werden, obwohl dadurch chronische Fälle vermeidbar wären.

Chronische Migräne kann mit modernen Therapien verhindert werden

Seit Jahren sind wirksame und gut verträgliche Migräneprophylaktika verfügbar und die aktuelle S1-Leitlinie empfiehlt ihre Anwendung [1]. Doch viele Menschen mit schwerer Migräne erhalten die modernen Migränemittel zu einem späten Zeitpunkt ihres Krankheitsverlaufes. Das zeigen aktuelle Daten der Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e.V. „Wir Neurologen beobachten, dass viele Betroffene zuvor über Jahre erfolglos mit unspezifischen Medikamenten behandelt wurden. Erst bei starker Chronifizierung werden CGRP-Therapien überhaupt in Betracht gezogen – dabei wäre gerade eine frühe Therapie entscheidend, um eine Chronifizierung zu verhindern“, betont PD Dr. med. Lars Neeb, Präsident der DMKG. Anlässlich des Deutschen und Europäischen Kopfschmerztags 2025 fordert die Fachgesellschaft ein grundlegendes Umdenken im Gesundheitssystem. „Statt nur auf die Arzneimittelkosten zu blicken, sollten die Gesamtkosten der Erkrankung bei den vorranging berufstätigen Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden“, so Prof. Dr. med. Gudrun Goßrau, Generalsekretärin der DMKG.

CGRP-basierte Migränetherapien blockieren gezielt das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) oder dessen Rezeptor und markieren einen entscheidenden Fortschritt in der Prophylaxe häufiger und schwerer Migräne. Studien belegen, dass der frühzeitige Einsatz effektiver Migräneprophylaktika das Risiko einer Chronifizierung senken kann [2], womit vielfältige körperliche, psychische und soziale Beeinträchtigungen vermieden werden. Im Gegensatz zur Entwicklung einer Migräne ist der Übergang von der episodischen zur chronischen Form nicht genetisch bestimmt [3,4].
Monoklonale CGRP-Antikörper wie Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab und Erenumab sind seit Anfang 2019 in Deutschland zur Migräneprophylaxe für Erwachsene mit mindestens vier Migränetagen pro Monat zugelassen. Sie werden subkutan verabreicht und besonders empfohlen, wenn unspezifische, klassische Prophylaxen unwirksam, nicht verträglich oder kontraindiziert sind. Seit Anfang 2025 stehen mit den oralen CGRP-Rezeptorantagonisten (Gepanten) weitere, tablettenbasierte Therapieoptionen für Prophylaxe und Akutbehandlung zur Verfügung.
Aktuelle Studien wie die internationale APPRAISE-Studie unterstreichen die Wirksamkeit und gute Verträglichkeit einer modernen Therapie: Erenumab reduzierte die Migränetage bei Patientinnen und Patienten mit episodischer Migräne sechsmal häufiger um mindestens 50 Prozent verglichen mit herkömmlichen, unspezifischen oralen Prophylaktika. Zudem waren Nebenwirkungen seltener und die Therapietreue höher. Viele Betroffene blieben über ein Jahr stabil in der Behandlung [5].

CGRP-Therapien bleiben dennoch die Ausnahme

Eine Datenauswertung von 1.720 Patientinnen und Patienten aus dem DMKG-Kopfschmerzregister belegt die Kluft zwischen wissenschaftlicher Empfehlung und klinischem Alltag in der Behandlung schwerer Migräne [6]. Beim Vergleich von Personen, die unspezifische orale Prophylaktika einnehmen (z.B. Amitriptylin oder Betablocker) mit Personen, die mit CGRP-basierten Therapien behandelt werden, zeigen sich statistisch signifikante Unterschiede: Letztere haben häufig mehr ungenügend wirksame bzw. nicht verträgliche Vortherapien durchlaufen als Patienten mit unspezifischen oralen Prophylaktika. Sie haben eine deutlich längere Krankheitsdauer, häufiger chronische Migräne (+10,2 %), mehr schwere Kopfschmerztage (+1,4 Tage/Monat) und mehr Akutmedikationstage (+0,8 Tage/Monat). Zudem sind sie seltener berufstätig und leiden um fast 10 % häufiger unter psychischen Begleiterkrankungen als die Vergleichsgruppe, die unspezifische Prophylaktika einnimmt.

Die Anpassung der Erstattung der CGRP-Therapie mit Erenumab im Oktober 2022 spiegelt sich auch in der DMKG-Auswertung: Diese Therapie wurde seither signifikant häufiger auch noch nicht chronifizierten Patientinnen und Patienten verordnet.

DMKG fordert Umdenken: früherer Einsatz einer spezifischen Prophylaxe senkt Chronifizierung und damit Folgekosten  

Die DMKG kritisiert, dass der frühzeitige Einsatz moderner CGRP-Therapien oft durch kassenärztliche Vorgaben für die Verordnung und Kostenrestriktionen erschwert wird. Dabei führt eine verzögerte Behandlung zu höherer Krankheitslast und steigenden direkten sowie indirekten Gesundheitskosten. „Wir brauchen ein Umdenken“, fordert Prof. Dr. med. Gudrun Goßrau. „Die Diskussion darf sich nicht nur kurzfristig auf Arzneimittelkosten beschränken, sondern muss die Gesamtkosten der Erkrankung bei den vorranging berufstätigen Patientinnen und Patienten berücksichtigen.“ Langfristige Krankheitskontrolle, die Vermeidung von Chronifizierung und der Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Betroffenen seien gesamtgesellschaftlich relevanter als kurzfristige Einsparungen. Die Anwendung spezifischer Migräneprophylaktika müsse weiterhin wirtschaftlich sinnvoll sein. Nicht alle Patientinnen und Patienten benötigten eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern, die deutlich teurer seien als unspezifische, klassische Prophylaktika. „Doch bei hochfrequenter episodischer oder chronischer Migräne sollte die Therapieentscheidung ärztlich-individuell und nicht primär ökonomisch getroffen werden.“

Die DMKG appelliert daher an Ärztinnen und Ärzte, Kostenträger und Gesundheitspolitik, moderne Migräneprophylaktika frühzeitig, indikationsgerecht und patientenzentriert einzusetzen – unabhängig von kurzfristigen Kostenerwägungen. Nur so kann die Versorgungslücke in der Migräneprophylaxe nachhaltig geschlossen werden.

Literatur

  1. Diener H.-C., Förderreuther S, Kropp P. et al., Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2022, DGN und DMKG, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinie/therapie-der-migraneattacke-und-prophylaxe-der-migrane-2022 (abgerufen am 1.9.2025)
  2. Lipton RB, Buse DC, Nahas SJ, et al. Risk factors for migraine disease progression: a narrative review for a patient-centered approach. J Neurol. 2023;270(12):5692-5710. doi:10.1007/s00415-023-11880-2
  3. Chase BA, Frigerio R, Rubin S, et al. An Integrative Migraine Polygenic Risk Score Is Associated with Age at Onset But Not Chronification. J Clin Med. 2024;13(21):6483. Published 2024 Oct 29. doi:10.3390/jcm13216483
  4. Chase BA, Frigerio R, Rubin S, et al. Migraine Genetic Susceptibility Does Not Strongly Influence Migraine Characteristics and Outcomes in a Treated, Real-World, Community Cohort. J Clin Med. 2025;14(2):536. Published 2025 Jan 16. doi:10.3390/jcm14020536
  5. Pozo-Rosich P, Dolezil D, Paemeleire K, et al. Early Use of Erenumab vs Nonspecific Oral Migraine Preventives: The APPRAISE Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol. 2024;81(5):461-470. doi:10.1001/jamaneurol.2024.0368
  6. Ruscheweyh R, Goßrau G, Jürgens TP, Ruschil V, Kraya T, Dresler T, Gaul C, Scheidt J, Neeb L. Welche Migränepatienten werden mit CGRP(R)-Antikörpern behandelt? Ein Vergleich zu unspezifischen oralen Prophylaktika anhand von Daten des DMKG-Kopfschmerzregisters. Der Schmerz 2025 accepted

Pressemitteilung der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e.V.

September 2025